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Ueber die Verwerthbarkeit individueller Blutdifferenzen für die forensische Praxis, Gesellschaft der Ärzte

Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Sachverständigenthätigkeit in Unfall- und Invaliditätssachen, sowie
für Hygiene, öffentl. Sanitätswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtssprechung

Ueber die Verwerthbarkeit individueller Blutdifferenzen
für die forensische Praxis.

Von Dr. Karl Landsteiner und Dr. Max Richter.
(Aus dem pathologisch-anatomischen und dem gerichtlich-medizinischen Institut der Wiener Universität.)

Mannigfache, in der letzten Zeit ausgeführte Untersuchungen über die Eigenschaften thierischer F1üssigkeiten und Zellen haben zu dem Ergebnisse geführt, daß sich mit Hülfe gewisser Serum-Reaktionen solche Stoffe verhältnissmässig leicht unterscheiden lassen, deren differente Natur bis dahin schwer oder gar nicht zu erweisen war. Es sei in erster Linie an die in gerichtsärztlicher Beziehung wichtige Probe zum Nachweise menschlichen Blutes erinnert, die sich aus den Arbeiten von Bordet, Uhlenhuth, Wassermann und Schütze u. a. ergeben hat.
Ein weiterer Schritt in der angedeuteten Richtung würde es sein, wenn man im Stande wäre, Unterschiede der Beschaffenheit des Blutes auch bei verschiedenen Individuen derselben Spezies nachzuweisen.
Zu diesem Zwecke könnte das Verhalten verwerthbar erscheinen, welches vor einiger Zeit bei Versuchen über die Einwirkung menschlichen Serums auf Blutkörperchen anderer Individuen beobachtet wurde.
Einer von uns hat darauf aufmerksam gemacht, dass normales menschliches Serum fast regelmässig die Eigenschaft besitzt, fremde menschliche Blutkörperchen zu agglutiniren - Ein Zusammenhang dieser Eigenschaft mit besonderen pathologischen Zuständen, wie er von einzelnen Autoren (Shattock, Grünbaum u. a.) angenommen wurde, scheint nicht zu bestehen.
Diese physiologische Eigenschaft des menschlichen Serums, fremde Blutkörperchen zu beeinflussen, zeigt gewisse auffallende, noch nicht erklärte Regelmässigkeiten, deren Art am Besten aus der folgenden Tabelle hervorgeht, die die Resultate der Einwirkung verschiedener Blutkörperchen und Sera aufeinander wiedergiebt. Zumeist findet man in Bezug auf die beschriebene Reaktion drei sich verschieden verhaltende Arten von Blutkörperchen und Serum. Als positiv wurden nur starke Reaktionen angeführt.

Aehnliche Zusammenstellungen finden sich bei Landsteiner (l. c.) und in ausführlicher und genauer Weise bei v. Decastello und Sturli. Es zeigt sich mithin, dass eine Anzahl von Blutarten sehr deutlich unterschieden und differenzirt werden können, während bei anderen eine Unterscheidung auf diese Weise nicht möglich ist.
Die Erscheinung der Agglutination ist im Falle positiver Reaktion so auffallend, dass sie sich beim Zusammenbringen eines Tropfens Serums und eines Tropfens Blutkörperchenaufschwemmung auf einem Objektträger auch mit freiem Auge nach kurzer Zeit ohne Schwierigkeit erkennen lässt.
Wollte man die Erscheinung für die Zwecke der forensischen Praxis verwerthen, so war nachzusehen, ob sie auch mit Proben angetrockneten und längere Zeit aufbewahrten Blutes gelingt.
Die in dieser Beziehung notwendigen Untersuchungen nahmen wir in der folgenden Weise vor: Wir untersuchten zunächst das Blut einer aus 6 Personen bestehenden Gruppe von Männern, indem wir auf dünne Blutkörperchenaufschwemmungen derselben (in 0,8% Kochsalzlösung) das Serum der einzelnen Personen einwirken ließen. Dieses erhielten wir so, dass wir aus der Fingerbeere durch Einstich mehrere Bluttropfen entleerten, in Kapillaren auffingen und nach der Gerinnung die Fibrinfäden aus den Röhrchen herauszogen.
Zu einem Tropfen der Blutkörperchenausschwemmung wurde ein kleiner Tropfen Serums mit einer mit einer Platinöse zugefügt und die Untersuchung im hängenden Tropfen vorgenommen.
Das Verhalten des Blutes dieser Individuen in Bezug auf die Agglutination giebt die folgende Tabelle wieder:

Von den geprüften Blutseris ist eines (Weiss) überhaupt inaktiv (ein selten vorkommender Fall), drei verhalten sich untereinander gleich (Meix, Tom, Mey), die Sera von Eiff und Ri verhalten sich gegenüber den anderen und untereinander verschieden.
Nachdem dieses Verfahren festgestellt war, wurden Blutstropfen der einzelnen Personen auf Leinwand, Glas, Holz angetrocknet und ohne besondere Kautelen im Laboratorium aufbewahrt. Nach verschieden langer Zeit wurden die Proben abermals vorgenommen und zwar in der Art, dass von den Spuren auf Glas und Holz kleine Partikel abgelöst und zu frischen Blutkörperchenaufschwemmungen zugesetzt wurden, während bei den Blutspuren auf Leinwand kleinste herausgeschnittene Stückchen einem Tropfen der Aufschwemmung zugefügt wurden. Die Beobachtung erfolgte im hängenden Tropfen bei Zimmertemperatur und wurde durch ca. eine Stunde fortgesetzt. Bei den Leinwandflecken gingen wir in der Regel so vor, dass nach etwa einer ¼ Stunde, wenn das angetrocknete Blut im Tropfen der Kochsalzlösung sich gelöst hatte, das Deckgläschen gelüftet und die Flüssigkeit aus dem Leinwandstückchen durch Druck mit einer ausgeglühten feinen Pinzette der am Deckgläschen haftenden Flüssigkeit beigemengt wurde, worauf wir das ausgepresste Fleckchen entfernten. Die auf diese Weise untersuchten, bis zu einem Monat lang aufbewahrten Proben, gaben dasselbe Resultat, wie die Proben mit frischem Blutserum.
Um Kontrolle zu üben, wurden die Versuche so ausgeführt, dass derjenige, der die Untersuchung vornahm, in Unkenntniss der Provienienz der Blutflecke blieb. trotzdem gelang es fast immer, die Identifikation der Blutproben vorzunehmen. Es kam dabei kein Irrthum in dem Sinne vor, dass Blutproben, die nach der ursprünglichen Reaktion sich hätten identisch verhalten sollen, als different angesehen worden wären, wohl aber geschah es, wenn auch selten, dass zwischen zwei, der ersten Untersuchungen zufolge differenten Proben nicht unterschieden werden konnte.
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass bei angetrockneten Blutspuren die Reaktion in vielen Fällen nicht so ausgesprochen ist, wie bei der Reaktion mit frischem Serum. Es ist deshalb nöthig, sehr dünne Blutaufschwemmungen zu benützten und auch die Entstehung sehr kleiner Häufchen von Blutkörperchen zu beachten. Durch die Herstellung von Kontrollplättchen bewahrt man sich vor Irrthümern bei der Beurtheilung von Häufchenbildung.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Probe gewisse Schwierigkeiten bietet und daher eine Einübung unbedingt erfordert. Unter diesen Voraussetzungen ist es aber in einer Anzahl von Fällen möglich, die Provenienz eines ausgetrockneten Blutfleckes von einer bestimmten Person nicht sowohl zu erkennen, als vielmehr sicher auszuschließen. Es ist leicht einzusehen, dass eine solche Konstatierung im konkreten Falls eine Bedeutung zukommen kann, hauptsächlich dann, wenn ein Thäter Blutspuren, die sich an seiner Kleidung finden, als von seinem eigenen Blute herrührend erklären will.
So wurde z. B. in einem Falle, der vor einigen Jahren hier zur Beobachtung kam, seitens des Thäters behauptet, dass die an seinen Kleidern gefundenen zahlreichen Blutspuren von seinem eigenen Blute herrührten, indem er vorgab, öfters an Nasenbluten gelitten zu haben, wobei die Blutbefleckung seiner Kleider zustande gekommen sein sollte. Es war nach dem damaligen Stande unserer Kenntnisse trotz der offenbaren Unwahrheit dieser Angaben prinzipiell nicht möglich, die Behauptung zu widerlegen. Mit der angeführten Probe wäre es unter Umständen gelungen, zu zeigen, dass das ausgetrocknete Blut nicht mit dem Blut des Thäters identisch sein konnte, nämlich dann, wen eine Lösung von Partikeln der angetrockneten Flecke eine Aufschwenmmung von Blutkörperchen des Inkulpaten agglutinirt hätte. - Es leuchtet ja ein, und ist durch vielfache Proben sichergestellt, dass das Serum oder das eingetrocknete Blut eines Individuums die Blutkörperchen dieses Individuums nicht agglutinirt.
Rathsam scheint es, soweit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, auf das Ausbleiben der Agglutinationsreaktion bei einer angetrockneten Blutspur kein Gewicht zu legen da wie erwähnt, die Reaktion durch da Eintrocknen des Blutes schwächer wird.
Würde die Agglutination der geprüften menschlichen Blutkörperchen durch ein anderes in dem untersuchten Fleck vorhandenes Agens als Menschenblut, z. b. durch Thierblut hervorgebracht worden sein, so wäre dies durch die Präzipitationsereaktion oder daran zu erkennen, dass in diesem Falle auch andere menschliche Blutkörperchenarten, die gegen menschliches Serum sich stets resistent verhalten (siehe Tabelle), beeinflusst werden würden. Ein Hinderniss für die Verwerthung der Reaktion wäre es, wenn sie etwa bei ein und demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten variiren würde. Wir haben in dieser Beziehung Untersuchungen angestellt und innerhalb des Zeitraumes von 4 Monaten keine Änderung im Verhalten des Blutes bei 14 untersuchten Personen feststellen können. Eine Konstanz des Verhaltens wird dadurch wahrscheinlich, dass bei den zahlreichen Untersuchungen von Decastello und Sturli sich zwischen den einzelnen Bluttypen Uebergänge nicht fanden.
Ein ganz gleiches typisches Verhalten zeigten, wie nebenbei erwähnt sei, auch die von uns untersuchten Sera eines Japaners und eines Negers. – Das Blutserum neugeborener Kinder ist in Bezug auf die Agglutination weniger wirksam, als das Serum Erwachsener, z. B. auch als das Serum der Mütter.
Es ist aus dem Gesagten zu entnehmen, dass die Erkennung der Nichtzugehörigkeit eines Blutes zu einem bestimmten Individuum bis jetzt nur in einzelnen Fällen möglich sein wird. Man kann aber erwarten, dass sich zur Lösung der Aufgabe noch andere Wege finden werden. So sei darauf hingewiesen, das nach einem Vortrage von Uhlenhuth Unterschiede zwischen dem Blute von Hähnen und jenem von Hennen bestehen, und dann auf die Tathsache, dass in Bezug auf Agglutinations- und ähnliche Reaktionen Differenzen zwischen verschiedenen Individuen einer Thierart oft zu beobachten sind.
Es kann sein, dass weitere Untersuchungen ergeben, dass verschiedene Individuen bezüglich ihres Blutes sich im Allgemeinen nicht völlig gleich verhalten, und vielleicht werden Differenzen in dem Verhalten der Sera gegenüber verschiedenen Bakterien oder thierischen Zellen, möglicherweise Unterschiede in den praezipitalen Substanzen des Blutes diagnostisch verwerthbar sein. – Schon jetzt können Sera mit ausgesprochener Agglutinationsreaktion auf Thyphusbazillen, Bact. Coli, Bac. Tubercul. etc. gelegentlich leicht unterscheidbar sein.