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Qualität hat ihren Preis II: Das Sterben der Anatomien, Gesellschaft der Ärzte

Qualität hat ihren Preis II: Das Sterben der Anatomien

Dass Fehlinvestitionen im österreichischen Gesundheitswesen zu Fehlentwicklungen geführt haben, wird allmählich zum Allgemeinwissen. Dass uns das jetzt auf den Kopf fällt, weil junge Ärzte in Scharen emigrieren, ebenso. Durch geringe Gehaltserhöhungen lässt sich zwar der politische Druck rasch senken, die Vernichtung von Qualität zu reparieren, würde Jahre dauern. Dabei geht es um viel mehr als die viel zitierte Stelle einer Landarztpraxis, die nicht nachbesetzt werden kann.

Eine bedeutsame Entwicklung betrifft den immer bedrohlicheren Personalmangel an den Anatomie-Instituten. Da es für die dort wie auch an allen theoretischen Instituten angestellten Ärzte keine Nachtdienste gibt, wurden die niedrigen Gehälter durch andere Zulagen erträglich gestaltet; die durch diverse Sparmaßnahmen über die Jahre geschmolzen sind. Man könnte einwenden: Sollen sie doch so wenig bezahlt bekommen wie andere außerhalb der Medizin tätige Hochschullehrer.

Mag sein, nur wird bei derartiger Arbeitskampf-Argumentation der Aspekt der Qualität wieder einmal übersehen. Europaweit gibt es bei den Ärztegehältern ein Südost-Gefälle mit einem tiefsten Punkt, nämlich Österreich. Der Brain-Drain der medizinischen Kompetenz ist somit hierzulande höher als in manchem Dritte-Welt-Land. Auch, weil unsere universitäre Ausbildung im internationalen Vergleich eine sehr gute und junge österreichische Ärzte gefragt sind. Wenn wir jetzt zusehen, wie die medizinische Grundausbildung durch Personalmangel immer mehr schwächelt, zerstören wir die letzten Standbeine, mit denen unser wackeliges Gesundheitssystem aufrechterhalten wird.

Auch die Überlegung, die logistisch aufwändigen Sezierkurse durch billigeres e-Learning oder didaktisch gut aufbereitete Bücher zu ersetzen, zieht nicht. Denn abgesehen davon, dass anatomische und andere medizintheoretische Institute schon längst mit Methodenvielfalt und nicht mehr nur an Leichenpräparaten Lehre und Forschung betreiben: das anatomische Präparieren in seinem ganzheitlichen Ansatz kann durch andere Techniken ergänzt, aber nie ersetzt werden. Nicht einmal Goethe gelang die Einführung alternativer anatomischer Methoden, als er um 1800 meinte, es zieme sich nicht „gefallene Mädchen in tausenden Stücken anatomisch zu zerfetzen.“

Unsere Gesellschaft steht morphologischen Arbeitsmethoden ambivalent gegenüber: Einerseits sind Bilder von Seziersälen aus dem abendlichen Fernsehkrimiprogramm nicht mehr wegzudenken. Andererseits sehen wir der Schließung gerichtsmedizinischer Institute tatenlos zu und nehmen in Kauf, dass damit eine über Jahrzehnte von unseren Forschern erarbeitete Errungenschaft flöten geht.

Dass durch das Anfeuern des Ärztemangels der akademischen Jugend Arbeitsmöglichkeiten und Ambitionen auf Jahre hinaus vermasselt werden, ist ein weiteres Argument, um für den Erhalt der medizintheoretischen Institute inklusive der Anatomien zu kämpfen. Durch vielfältige Verknüpfungen mit anderen Forschungsreinrichtungen sind sie für die wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit dringend nötig, was bedeutet: die Chancen sinken, dass österreichische Forscher durch EU-Projekte Gelder in unser Land zurückholen und der Steuerzahler zahlt und zahlt …

Ein konstruktiver Lösungsansatz wäre die Zusammenführung thematisch überlappend arbeitender Institute zu Clustern. Man kann Ressourcen sparen, Arbeitsumfelder interessanter gestalten und die Effizienz steigern. Ein Beispiel ist die hervorragende Kooperation zwischen Radiologie und Anatomie. Nur: das wird bereits umgesetzt und auch hier gilt die Regel, dass Qualität eben ihren Preis hat.

Die Videoaufzeichung der Präsentationen zum Thema „Living Anatomy“ können Sie hier >> aufrufen.

Univ.-Prof. Dr. Franz Kainberger

Text:
Univ.-Prof. Dr. Franz Kainberger
(Präsident der Gesellschaft der Ärzte)

Der Beitrag ist die persönliche Meinung des Autors!