Verantwortung und Erinnerung – das digitale Gedenkbuch der Gesellschaft der Ärzte in Wien
Als Folge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Österreich im Jahr 1938 verloren alleine in Wien zirka 3.400 von 4.900 Ärzten und Ärztinnen ihre Approbation, und rund 40 % aller Lehrenden und Professoren der Universität Wien waren von Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Besondere Auswirkungen hatte dies auf die Medizinische Fakultät, die rund 52 % ihres Lehrkörpers verlor. Das Ausmaß des brain drain war an keiner anderen medizinischen Fakultät im deutschsprachigen Raum so groß.
Innerhalb der Gesellschaft der Ärzte in Wien, einem der ältesten medizinisch-wissenschaftlichen Vereine weltweit kam es zu sofort einsetzenden Diskriminierungen und schließlich zum Ausscheiden aller jüdischen Mitglieder. 1938 waren mehr als die Hälfte der Mitglieder und zirka ein Drittel der Funktionäre im Vorstand der Gesellschaft jüdischer Herkunft.
Um ein bleibendes Zeichen der Erinnerung an alle aus antisemitischen oder politischen Gründen verfolgten Mitglieder (nach derzeitigem Wissenstand: 623 Personen) zu setzen, wurde mit der Erstellung eines digitalen Gedenkbuchs begonnen. Dieses beruht auf der Grundlage eines Verzeichnisses der ordentlicher Mitglieder der Gesellschaft, das nach der Machtübernahme 1938 vom Vermögensverwalter erstellt wurde, um die aktuellen Mitgliedsbeiträge dieses Jahres noch eintreiben zu können. Eine weitere Quelle für das Gedenkbuch stellen die bis zur Löschung der Gesellschaft durch die Nationalsozialisten im Oktober 1938 verwendeten Originale der Mitgliederkarteikarten der Gesellschaft dar, welche im Gedenkbuch beim jeweiligen Personeneintrag abgerufen werden können. Zur Ermittlung der Namen der Vertriebenen unter den Mitgliedern wurden die von Univ.-Prof. Dr. Ilse Reiter-Zatloukal und Dr. Barbara Sauer im Rahmen des Projekts „Ärzte und Ärztinnen in Österreich 1938–1945. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung“ zusammengetragenen Daten herangezogen. Für die Überlassung dieser Daten bedanken wir uns ganz herzlich!
In der ersten Phase der Erstellung des digitalen Gedenkbuchs wurden die Eckdaten aller verfolgten Mitglieder eingetragen, Scans der Mitgliederkarteien eingefügt und erste Biographien verfasst. Das Schicksal von etwa 80 Prozent der vertriebenen Mitglieder konnte bisher geklärt und dokumentiert werden. Wir hoffen, auch im Falle der restlichen Mitglieder deren weitere Schicksale nachtragen zu können. Bislang konnten 59 Personen identifiziert werden, deren Todesumstände direkt und eindeutig mit den Verfolgungsmaßnahmen zusammenhängen. Bei 18 weiteren Todesfällen ließen sich die genauen Umstände nicht klären.
Das Gedenkbuch ist kein abgeschlossenes Werk, sondern soll kontinuierlich im Rahmen weiterer Recherchen zu den Einzelbiographien ergänzt werden. Die Projektverantwortlichen verstehen das Gedenkbuch als symbolische Initiative und als Mahnmal für die Gegenwart und die Zukunft.
Wir möchten uns sehr herzlich bei den Geldgebern bedanken, ohne deren finanzielle Unterstützung das Projekt nicht möglich gewesen wäre.
Zukunftsfonds der Republik ÖsterreichNationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Stadt Wien Kultur (MA 7)
Stadt Wien 9. Bezirk / Alsergrund
Des Weiteren gilt unser Dank allen Mitwirkenden und Vortragenden unserer Symposien, die im Rahmen des Forschungsprojektes „Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien: Die kritischen Jahre 1930 bis 1960“ abgehalten wurden
„185-Jahre ‚Die Gesellschaft der Ärzte in Wien‘: Blick auf eine wechselvolle Geschichte“, Billrothhaus, 30. November 2022.„Die Wiener Medizin und der akademische Antisemitismus – 1848 bis 1938“, Billrothhaus, 11. Oktober 2023.
Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien: Die kritischen Jahre 1930 bis 1960 und die Folgen, Billrothhaus, 9. Oktober 2024.
Für weiterführende und ergänzende Hinweise zu den im Gedenkbuch genannten Personen sind wir sehr dankbar. Fragen und Informationen richten Sie bitte an folgende E-Mail-Adresse: gedenkbuch@billrothhaus.at
Zugang zum digitalen Gedenkbuch
Beatrix Volc-Platzer, Präsidentin der Gesellschaft der Ärzte in Wien, 2020-2024
Josef Hlade, Institut für Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin, Medizinische Universität Wien, ProjektleiterHermann Zeitlhofer, Gesellschaft der Ärzte in Wien
Herwig Czech, Institut für Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin, Medizinische Universität Wien










